Die zweite Heimat

Von Johannes Popp

Nein, dass er einmal Bewohner des Waldstraßenviertels werden würde, das hätte er vor dem Fall der Mauer nicht für möglich gehalten, erzählt Wolf-Dietrich Freiherr Speck von Sternburg gut gelaunt in seinem Sessel sitzend. Wir treffen den in München und Leipzig lebenden Nachfahren des Leipziger Handelsherrn und Kunstsammlers Maximilian Speck von Sternburg (1776 – 1856) in seiner Wohnung im Eckhaus Leibnizstraße / Hinrichsenstraße, in dem sich auch die Räume des Bürgervereins befinden.

Wolf-Dietrich Speck von Sternburg im Gespräch mit Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt; Foto: Museum der bildenden Künste Leipzig

Wolf-Dietrich Speck von Sternburg im Gespräch mit Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt; Foto: Museum der bildenden Künste Leipzig

Als Kind, so erinnert sich der 1935 in Pommern geborene Ur-Urenkel Wolf-Dietrich, verbrachte er gelegentlich die Sommerferien bei den Verwandten in Lützschena. Das Kriegsende 1945 bedeutete auch für die Familie Speck von Sternburg einschneidende Veränderungen. Mit seiner Mutter und seinen drei jüngeren Geschwistern verließ er Pommern und kam nach München; der Vater war in britischer Gefangenschaft. In Sachsen blieb nur eine der Tanten noch für einige Jahre in Lützschena. Nach der Enteignung im Vollzug der Bodenreform muss­te sie das Schloss verlassen, kam jedoch in einer Wohnung im Dorf unter.

Als Messegast in Leipzig
„Bevor auch Tante Lotte in den Westen zog, habe ich sie 1954 noch in Lützschena besucht“, erinnert sich Speck von Sternburg, der als damals 19-jähriger am Evangelischen Kirchentag in Leipzig teilnahm. Es sollten zwanzig Jahre vergehen, ehe er 1974 und dann nochmals Mitte der achtziger Jahre zu Messebesuchen wieder nach Leipzig kam und bei entfernten Verwandten in der Funkenburgstraße übernachtete. Obwohl das im offiziellen Messeprogramm nicht vorgesehen war, fuhr er mit der Straßenbahn nach Lützschena und besuchte inkognito das einstige Familienanwesen. Der Park war verwildert, das Schloss wurde als landwirtschaftliche Schule und später als Kinderheim genutzt. Die wertvolle Kunstsammlung der Familie war enteignet und vom Bildermuseum übernommen worden. Sich um dieses Erbe wieder einmal kümmern zu dürfen, wäre ihm damals nicht realistisch erschienen.
Als Wolf-Dietrich 1990 nach dem Fall der Mauer als Oberhaupt der Familie von München die Reise nach Leipzig antrat, besuchte er zuerst den Pfarrer in Lützschena, um zu versichern, dass er gekommen sei um zu helfen. Und er nahm Kontakt zu den offiziellen Stellen der Stadt auf um Vertrauen herzustellen. Heute haben die Kunstschätze der Maximilian Speck von Sternburg Stiftung dauerhaft ihre Heimat im Museum der bildenden Künste gefunden.

„Fast eine dörfliche Gemeinschaft“
„Auf die Wiedervereinigung können wir – trotz der Probleme, die damit verbunden waren – alle stolz sein“, sagt Speck von Sternburg. Auch in ganz privaten Dingen engagierte er sich.

Gemälde / Öl auf Leinwand (1832) von  <BR> Friedrich von Amerling [1803 - 1887]  <BR> Bildmaß 63,3 x 51,5 cm <BR> Familienbesitz Speck von Sternburg, München <BR> Inventar-Nr.: D 13 <BR> Person: Maximilian Speck von Sternburg [1776 - 1856], Deutscher Kaufmann, Unternehmer und Kunstsammler <BR> Systematik:  <BR> Personen / Verschiedene Porträts / Speck von Sternburg, Artist: Friedrich von Amerling

Gemälde / Öl auf Leinwand (1832) von
Friedrich von Amerling [1803 – 1887]
Familienbesitz Speck von Sternburg, München

Auf seine Kosten übernahm er Anfang der neunziger Jahre die Renovierung seiner jetzigen Wohnung in der Leibnizstraße und trug so gemeinsam mit weiteren Bewohnern des Hauses dazu bei, das Villengebäude vor dem Verfall zu retten. Inzwischen verbringt er über die Hälfte des Jahres in Leipzig und hat die Veränderungen in der Stadt hautnah miterlebt, den Verfall am Ende der DDR-Zeit und die Wiedergeburt besonders der einzigartigen Gründerzeitarchitektur. Das Waldstraßenviertel wurde ihm zur zweiten Heimat und er selbst ist langjähriges Mitglied im Bürgerverein. Im Viertel trifft man ihn am Morgen auf dem Fahrrad, wenn er seine Brötchen holt, beim kurzen Schwatz mit den Nachbarn an der Kreuzung oder zum Mittag im Steak-House. „Wir leben hier im Herzen der Stadt und doch gibt es inmitten der Gründerzeitstraßenzüge fast so etwas wie eine dörfliche Gemeinschaft“, sagt Speck von Sternburg. Ein schöneres Kompliment kann man dem Viertel doch gar nicht machen.

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