Aus zwei Blickwinkeln: Ost-West-Gedanken zum Frauentag

Von Julia Polony

Der 8. März ist der Internationale Frauentag – jede(r), der in der DDR aufgewachsen ist, weiß das. Im Sozialismus wurde dieser Tag geradezu zelebriert. Im Westen Deutschlands verbindet dieses Datum kaum jemand mit einem besonderen Anlass.

Das könnte sich jetzt ändern, denn im Januar dieses Jahres hat Berlin den Frauentag zum Feiertag erklärt und damit eine erneute, breitgefächerte Diskussion über bekannte Themen befeuert: Emanzipation, Frauenrechte, Sinn und Unsinn dieses Tages …

Viele engagierte Frauen werden im Hinblick auf den 8. März befragt. Wir wollten diesmal erfahren, was die Männer über den Frauentag denken. Wie erlebten sie ihn früher und welche Bedeutung hat er heute? Zwei Bewohner des Waldstraßenviertels erzählen, was sie mit dem Tag verbinden. Der eine ist gebürtiger Leipziger, der andere stammt aus Hessen.

Hans-Joachim Schindler im Interview mit Julia Polony; Foto: Andreas Reichelt

Hans-Joachim Schindler im Interview mit Julia Polony; Foto: Andreas Reichelt

Hans-Joachim Schindler erinnert sich noch bestens an die Feierlichkeiten zu DDR-Zeiten. „Wochenlang bereiteten sich alle auf den Tag vor“, erzählt der 80-jährige. Kinder malten Bilder, studierten Lieder ein und bastelten kleine Geschenke für Ihre Muttis und Klassenlehrerinnen. In Betrieben wurden Festveranstaltungen organisiert, Frauenbrigaden planten Ausflüge und männliche Kollegen verfassten Lobreden auf die Leis­tungsträgerinnen und Ihre Verdienste für die sozialistische Gesellschaft. Es gab zentral angeordnete Demonstrationen für Frieden und Solidarität. „Es hat mich immer gestört, dass der Frauentag in der DDR so eng mit der Politik verknüpft war“, sagt Hans-Joachim Schindler. Dies gab der eigentlich guten Idee dieses Tages einen bitteren Beigeschmack und wurde er deshalb privat eher ignoriert. Es war staatlich verordnetes Feiern im Kollektiv.

Feiern nach dem Pflichtprogramm
In den meisten Betrieben wurde am 8. März nur bis zum Mittag gearbeitet. Der Rest des Tages war dem offiziellen Pflichtprogramm vorbehalten. So auch am Leipziger Institut für Lehrerbildung, an dem Hans-Joachim Schindler 19 Jahre als Dozent lehrte. Ehe die Festreden geschwungen und die Aktivistenmedaillen verliehen wurden, machten sich die Damen besonders hübsch. „Ich weiß noch, dass immer ein Friseur kam, bei dem sich die Frauen die Haare hochstecken ließen. Außerdem bekam jede eine Ansteckblume.“ Nach dem betrieblichen Festakt nutzten viele Frauen die Gelegenheit, um im Kollegenkreis mit süßem Sekt und Likörchen zu feiern. Das war der gemütliche und lustige Teil des Tages, der oft auch bis in die Nacht hinein ging. Auch heute noch denkt der studierte Pädagoge und Psychologe mit gemischten Gefühlen an diese Zeit zurück: „Ich mag den Valentinstag und den Muttertag viel lieber. Es ist gut, wenn die Frauen geehrt werden und ich schenke auch gerne Blumen. Aber ob dafür ein Feiertag notwendig ist?“. Hans-Joachim Schindler überlegt kurz und sagt schließlich: „Die sollten den Kindertag zum Feiertag machen. Davon hat jeder etwas.“

Einen ganz anderen Blick auf den Frauentag hat Oliver Noll. Er wurde in Kronberg in Hessen geboren, lebte bis 2015 in Westdeutschland. Erst nach seinem Umzug nach Leipzig erfuhr er, dass es einen Frauentag gibt. „Das war für mich etwas Neues“, gibt er zu. „Ich kannte nur den Muttertag.“ Der sei ein besonderer, ein privater Tag und damit völlig gegensätzlich zum Internationalen Frauentag zu sehen.

Oliver Noll; Foto: Julia Polony

Oliver Noll; Foto: Julia Polony

Anlass für Veränderungen
Die aktuelle Diskussion zeige, dass es reichlich Gesprächsstoff, Kritikpunkte und Verbesserungsmöglichkeiten in Bezug auf Frauenrechte und Gleichberechtigung gibt. Und wieder wird es politisch. „Ich sehe den Frauentag als Anlass zu schauen, wo die Gesellschaft steht und dann muss nachjustiert werden – ohne weitere langjährige, ermüdende Debatten“, sagt Oliver Noll und verweist unter anderem auf die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen.
Er erlebt die Ost-Frauen im Allgemeinen emanzipierter, selbstbewusster, eigenständiger als im Westen. „Sie leben MIT dem Mann, nicht FÜR ihn. Sie sind auf Augenhöhe“, sagt der 55-Jährige. In den alten Bundesländern habe er das Gefühl, die Frauen müssten etwas zurückerobern. Im Osten gäbe es viele Themen gar nicht, insbesondere wenn es um das Rollenverständnis von Mann und Frau geht. Es gehe vielmehr um die Sache, findet Oliver Noll und ist sich sicher: „Wenn es im Westen auch so wäre wie es im Osten seit Jahrzehnten gelebt wird, wäre die westliche Gesellschaft deutlich weiter.“

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