Architektur im Waldstraßenviertel

Von Katja Haß

Das Waldstraßenviertel gehört zu den größten Gründerzeitvierteln in Europa und ist das größte zusammenhängende Gründerzeitviertel in Deutschland. Zum Waldstraßenviertel gehören 32 Straßenzüge mit rund 800 Gebäuden, wovon rund 80 Prozent unter Denkmalschutz stehen. Der überwiegende Teil des Viertels ist zwischen 1860 und 1900 entstanden.

Die wachsende Großstadt
Mit der Industrialisierung, Verstädterung und dem Bevölkerungswachstum Mitte des 19. Jahrhunderts benötigte man in der wachsenden Großstadt Leipzig neue Wohnmöglichkeiten. So wurden Plagwitz, die Südvorstadt, das Musikviertel und auch des Waldstraßenviertel, das direkt an die Innenstadt angrenzt, geplant und gebaut. In unserem Viertel waren umfangreiche Regulierungsmaßnahmen notwendig, denn jahrhundertelang bestand das vor den Toren der Stadt gelegene Gebiet überwiegend aus Wiesen und Weiden, die alljährlich im Frühjahr unter Hochwasser standen.

Gartenstadt
Das Waldstraßenviertel mit seiner typischen Bebauung entstand erst vor rund 150 Jahren. Davor haben wohlhabende Leipziger Kaufleute im 19. Jahrhundert dieses Gebiet als privates Gartenland genutzt, zum Beispiel Gerhardts Garten (heutige Thomasiusstraße), Linnemannscher Garten (Leibnizstraße) oder Jägers Garten (Lortzingstraße).

Freges Erbe
In Freges Garten befand sich der Gutshof „Große Funkenburg“, den der Besitzer Woldemar Frege Ende des 19. Jahrhunderts abreißen ließ. Er parzellierte den Garten und verkaufte die Grundstücke mit konkreten Bebauungsvorschriften. Historisch bedingt hat deshalb die Funkenburgstraße keinen Baumbestand, im Gegensatz zur Tschaikowskistraße, war diese doch einst die Gartenallee der Großen Funkenburg. In den Bebauungsvorschriften stand außerdem, dass die Straßen so breit sein sollten, wie die Häuser hoch sind; die Häuser an Straßenkreuzugen sollten Türmchen tragen und mit dem Bau der Häuser musste nach Grundstückskauf innerhalb von zwei Jahren begonnen werden, sonst hätte Frege nach seinen Konditionen das Land zurückkaufen können. Das ist auch der Grund, warum die Funkenburg- und die Tschaikowskistraße innerhalb kürzester Zeit relativ einheitlich bebaut wurden.

Der östliche Teil
Im Waldstraßenviertel finden sich zahlreiche Baustile. Die älteste Straße im Viertel ist nach der Via Regia (Ranstädter Steinweg) die Rosentalgasse. Das älteste erhaltene Gebäude des Viertels, die Lortzingstraße 7/9, stammt aus dem Jahr 1832. Die ersten größeren Bauaktivitäten Mitte des 19. Jahrhunderts begannen in der Lortzing- und Humboldtstraße beziehungsweise im Gebiet östlich von der Leibnizstraße. In diesem Teil entstanden um 1860 zahlreiche spätklassizistische Wohnhäuser mit angedeuteten antiken Pfeilern und schlichten Fassadenverzierungen. Erste Bauaktivitäten gab es außerdem am Anfang und am Ende der Waldstraße.

Der nördliche Teil
Das nördliche Gebiet des Viertels ist überwiegend um 1900 entstanden. Hier finden sich Gründerzeithäuser im Historismusstil, der vorangegangene Stilepochen aufgreift, und Jugendstilgebäude mit neuen Formen. Typisch für diese Zeit sind Buntglasfenster, aufwendig gearbeitete Treppenaufgänge und  filigrane Stuckdecken. Höhepunkte dieser Bebauung um 1900 waren Villen und Blockrandbebauungen in der Tschaikowski-, Christian-, Livia- und Waldstraße.

Jüdische Einrichtungen
Vor dem 2. Weltkrieg war das Waldstraßenviertel das Viertel in Leipzig mit den meisten Menschen jüdischen Glaubens. Zu diesem Zeitpunkt lebten in Deutschland rund 0,1 Prozent, in Leipzig rund 2 Prozent und im Waldstraßenviertel rund 10 Prozent Juden. 1925 wohnten mindestens 13.000 Menschen jüdischen Glaubens in Leipzig, jeder 5. Leipziger Jude lebte im Waldstraßenviertel. Über das Viertel verteilt entstanden verschiedene jüdische Einrichtungen – eine Schule, ein Altenheim, ein Krankenhaus, mehrere Kindergärten, drei Synagogen und zahlreiche Betstuben.

Architekten
Wichtige Architekten des Viertels waren der Leipziger Ratsmaurermeister Heinrich Purfürst, Otto Klemm, Gustav Pflaume, Arwed Roßbach, Emil Franz Hänsel – der meistbeschäftigte Architekt vor dem 1. Weltkrieg in Leipzig – und der Leipziger Jugendstilarchitekt Paul Möbius. Auch Clemens Thieme, der Initiator des Völkerschlachtdenkmals, verewigte sich mit Wohnhäusern im Waldstraßenviertel.

Zerstörungen im 2. Weltkrieg
Viele faszinierende Architekturdetails wie zum Beispiel farbige Kacheln, aufwendig bemalte Hauseingänge und liebevoll gestaltete Türen sind im Waldstraßenviertel original erhalten, denn das Herz des Viertels wurde im 2. Weltkrieg weitestgehend von Zerstörungen verschont. Rund 20 Prozent der Bausubstanz aller Leipziger Stadtteile und 60 Prozent der Bausubstanz in der Innenstadt wurden in dieser Zeit vernichtet. In unserem Stadtteil wurden beim Bombenangriff 1943 große Teile des Ranstädter Steinwegs und des Naundörfchens (südlich des Ranstädter Steinwegs) zerstört.

Faszinierende Details
In der Nachkriegszeit wurde das Waldstraßenviertel aus wohnungsbaupolitischen Gründen nicht saniert und die Häuser verfielen. Aber es kam zu keinen Flächen­abrissen im Viertel und die alte Bausubstanz blieb erhalten. So kann man heute die nach der Wende sanierten Wohnhäuser und Villen mit Erkern, Türmchen und aufwendigen Fassadenverzierungen bewundern. Zurzeit leben im Viertel rund 12.000 Menschen.

Foto: Uwe Haß

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